Exlibris des Monats für Mai 2023 – Johann Strauß (Sohn)

Hedwig Pauwels für Eva Maria Wimmer, Opus 462, 1994, Radierung und Mezzotinto, 106 x 80 mm

Einst versetzte seine Musik halb Europa in einen Taumel. Auch heute noch ist ein festlicher Ball ohne eine seiner Melodien kaum vorstellbar, gehören doch viele davon zum Standardrepertoire eines guten Tanzorchesters. Seine Walzer, Polkas und Märsche entwickelten sich im 19. Jahrhundert zu den ersten „Hits“ der Popularmusik. Ihr Komponist war alles andere als ein Gesellschaftslöwe. Angeblich konnte er nicht einmal richtig tanzen und verließ fluchtartig den Saal, sobald zur Damenwahl aufgefordert wurde.

Hedwig Pauwels Exlibris-Radierung zeigt uns den Dirigenten und Komponisten Johann Strauß im Viertelprofil. Eine Zeichnung des Malers Leopold Horowitz (1838–1917) diente als Vorlage. Unter der breiten Krempe eines eleganten Hutes blickt uns selbstsicher ein 70 Jahre alter und mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichneter „Superstar“ der Musikszene entgegen. Ein besonderes Merkmal seiner Physiognomie, ein leicht nach oben gedrehter Schnauzbart, öfters auch von einem Backenbart ergänzt, verdeckt die Oberlippe. Seine Geige hält er nicht in Händen. Sie ist hier nur ein beigefügtes Attribut. Mit müde gewordenen Augen und etwas erschöpft blickt er uns an. Er kann auf ein arbeitsreiches, von zahlreichen Erfolgen gekröntes Leben zurückschauen.

Nach dem Willen des berühmten Vaters, der als Kapellmeister mit mehreren Kompositionen große Erfolge erzielen konnte, sollte sein ältester Sohn, der auch Johann hieß, eine Beamtenlaufbahn einschlagen.

Bald musste die Mutter die Kinder allein erziehen, da der Vater die Familie wegen einer anderen Frau verlassen hatte. Der 1825 geborene Johann Strauß (Sohn) erhielt eine musikalische Ausbildung und gab mit 19 Jahren schon sein erstes Konzert. Mit seinem Orchester feierte er große Erfolge und konnte durch die Einnahmen die Familie versorgen. Zahlreiche Auftritte führten ihn durch alle Teile der Monarchie. 1849 übernahm er nach dem Tod des Vaters dessen Orchester und bildete mit seinen eigenen Musikern eine neue Formation.

In den Sommermonaten der 50er und 60er Jahre zog es ihn zu Aufsehen erregenden Gastspielkonzerten nach Pawlowsk nahe St. Petersburg. In diesen Wochen fern von Wien entstanden auch neue Kompositionen, die später Eingang in sein Repertoire fanden. Weitere Tourneen führten ihn durch Europa und sogar nach Nordamerika. Ab 1861 bzw. 1870 waren seine beiden Brüder Josef und Eduard, die auch zu erfolgreichen Komponisten avancierten, an der Leitung des Strauß-Orchesters beteiligt.

Nicht zu Unrecht verliehen das Publikum und die Presse Johann Strauß den Titel „Walzerkönig“, ein Etikett, das seinem Können und seiner Leistung dennoch in keinster Weise gerecht wird, war doch sein Werk umfangreicher und vielschichtiger – und nicht nur im Dreivierteltakt. Neben Walzern, Polkas, Quadrillen und Märschen entstanden 15 Operetten, darunter auch die bis heute so beliebte „Fledermaus“, und eine Oper.  Dabei ging es ihm nicht nur um walzerselige Tanzmusik, es gibt in vielen seiner orchestralen Meister-werke auch eine symphonische Dimension zu entdecken, eine musikalische Qualität, die meist der auf das Tanzen reduzierten Funktion zum Opfer fällt oder gar in den Hintergrund geschoben wird. Keiner konnte damals so geschickt und obendrein in Windeseile derart beschwingte Melodien pro-duzieren. Dies gelang nur Johann Strauß, dem „Schani“ – wie er damals von allen genannt wurde. Er komponierte immer nachts und nur im Stehen. Dabei rang er selten um Inspiration, meist sprudelten die Noten aus seiner Feder nur so heraus. War kein Papier zur Hand, schrieb er auch auf seine Hemds-ärmel oder dergleichen. Johann Strauß befasste sich in seinem Leben nur mit Musik, außer im Wirtshaus beim Kartenspielen, wo er dann seine Einfälle auch auf Gaststättenrechnungen notierte.  

Anhand des legendären Walzers „An der schönen blauen Donau“ lässt sich die geniale Andersartigkeit im Vergleich zu den Werken anderer hervor-ragender Komponisten deutlich machen. So weicht Strauß von der exakten Metrik im Dreivierteltakt ab und verzögert ganz bewusst die Tonfolge, wobei er den eher unbedeutenden letzten Taktteil besonders betont.

Das vorliegende Exlibris enthält neben dem Porträt noch ein weiteres wichtiges Detail. Vor einem nächtlichen Himmel hat Hedwig Pauwels aus der Froschperspektive eine Art Triumphbogen mit Reliefschmuck dargestellt. Damit wird das Bild des Komponisten bogenförmig umrahmt, wobei sich Überschneidungslinien mit dem Hut ergeben. Diese Skulptur aus Laaser Marmor bildet zusammen mit einer in Gold gefassten Statue des Kompo-nisten das bekannte Johann-Strauß-Denkmal, ein viel besuchtes Fotomotiv im Wiener Stadtpark, das der Bildhauer Edmund Hellmer (1850-1935) für seine Vaterstadt gestaltete. Schwebende Figuren mit ineinander verschlun-genen Haaren und durchsichtigen Gewändern erscheinen auf dem Relief des Marmorbogens, als würden sie miteinander tanzen. Auf dem Exlibris sind sie mit blauer Farbe gedruckt – vielleicht eine Reminiszenz an den berühmten Walzer „An der schönen blauen Donau“, der am 27. April 1945, als anlässlich der Proklamation der Unabhängigkeit Österreichs noch keine Nationalhymne zur Verfügung stand, vor dem Parlament intoniert wurde.

Um erneut heiraten zu können, gab Johann Strauß 1886 die österreichische Staatsbürgerschaft auf und erhielt, wie auch seine 3. Frau, die deutsche Staatsbürgerschaft des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha.

Schließlich starb er 1899 im Alter von 73 Jahren in seinem Haus in Wien-Wieden. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof nahe bei den Ehrengräbern von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Johannes Brahms und anderen. Letzterer war ihm ein lebenslanger Freund und erklärte einmal, dass Johann Strauß der einzige Zeitgenosse sei, den er beneide, „er trieft von Musik, ihm fällt immer etwas ein“. Von Giuseppe Verdi stammt die Bemerkung: „Ich verehre ihn als einen meiner genialsten Kollegen.“, während der Schriftsteller Emile Zola meinte: „Wir Schriftsteller zeigen die Welt, wie elend sie ist – Johann Strauß zeigt uns, wie schön sie sein kann.“ 

Heinz Neumaier

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