Exlibris des Monats März 2023 – Otto Ubbelohde: Kraniche über weiter Landschaft

Exlibris des Monats März 2023: Otto Ubbelohde für J. T. Alb. Hosbach, [1910], Radierung, 122 x 89 mm

Bereits ab Februar, v. a. aber im März kehren die Kraniche in riesigen Schwärmen aus ihren Winterquartieren im milderen Südeuropa und Nordwest-Afrika zurück, überqueren Deutschland (einige tausend bleiben auch hier) und fliegen in ihre Brutgebiete nach Skandinavien, Polen, ins Baltikum oder nach Belarus. Für die alten Griechen und Römer symboli-sierten Kraniche Weisheit und Klugheit, Glück und Treue; bei uns gilt der ruffreudige, auf spektakuläre Art balzende, große, schöne Kranich als „Vogel des Glücks“, denn sein Kommen kündigt den Frühling an, die Tage werden länger und wärmer, das Nahrungsangebot wird größer.

Auf dem Exlibris des Monats März ziehen drei Kraniche majestätisch, buchstäblich erhaben, über eine weite Flusslandschaft mit einzelnen Baumgruppen, den Horizont markiert eine langgezogene Mittelgebirgs-anhöhe, am bewegten Himmel ballt sich Gewölk. Wir befinden uns – mehr als hundert Jahre zurückversetzt – mutmaßlich in der nordhessischen Heimat Otto Ubbelohdes, der der Schöpfer dieses 1910 entstandenen Bücherzeichens für J. T. Alb. Hosbach ist. Insgesamt schuf er acht Blätter für Mitglieder der Familie Hosbach, die wahrscheinlich nach Amerika ausgewandert war und sich dort in Philadelphia niedergelassen hatte.

Der Spruch über der Darstellung „Nature is the empire of freedom“ ist eine der Inschriften auf dem Sockel eines von dem Rauch-Schüler Friedrich Drake geschaffenen Alexander-von-Humboldt-Denkmals in Philadelphia, mit dem der berühmte deutsche Naturforscher zu seinem 100. Geburtstag 1869 als „citizen of the world“ gedeutet und gefeiert wurde.

 

Geradezu exemplarisch vermittelt das Exlibris den unverkennbaren, charakteristischen Duktus Ubbelohdes: kraftvolle, konturenhafte, auf das Typische und Wesentliche reduzierte, die Kunst des Weglassens beherrschende Strichführung. Auf diese Weise erschuf er stimmungsvolle Landschaften mit beeindruckender Wirkung und wurde zu einem äußerst geschätzten Exlibriskünstler. Kaum zu glauben, dass er selbst die Exlibriskunst nicht unbedingt geliebt hat, sie vielmehr „zum Kotzen [… fand], so daß in diesen Fällen nur von Arbeit um´s tägliche Brot, nicht aber von irgend einer Freude an der Arbeit die Rede sein kann. Diese ganze Exlibrisgeschichte [so Ubbelohde kurz vor seinem Tod] ist überhaupt ein Hokuspokus und eine Landplage.“ Und trotzdem fanden sich in seinem Nachlass rund vierhundert Entwurfszeichnungen allein für Exlibris, von denen er mehr als 240 auch ausführte.

Ubbelohde, der 1922 im Alter von 55 Jahren einem Krebsleiden erlag, sah sich selbst vor allem als Maler, weltweit bekannt wurde er jedoch durch seine Illustrationen zu einer 1909 erschienenen Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Mag sein Stern auch verblasst sein, zählen für so manchen Exlibrissammler nach wie vor Bücherzeichen von Otto Ubbelohde zu den Glanzstücken der eigenen Kollektion.

(Henry Tauber)

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