„Wandelhalle für Bücherfreunde“ – Exlibris-Beiträge

Es sind gleich drei Artikel in der Wandelhalle, in denen Exlibris eine wichtige Rolle spielen:

Zunächst in der Rubrik Blickpunkt, in der Bernd Gerlach über die Ergebnisse seiner Recherchen zu der bibliophilen Büchersammlerin Lucy Spiegl berichtet. 1982 erstand er in dem Marburger Antiquariat Braun-Elwert (den Ubbelohde-Freunden werden beim Namen Elwert die Glocken klingeln) eine Auswahl der Gedichte Goethes von Cobden-Sanderson, erschienen in der Dover-Press, England während des Ersten Weltkriegs. In diesem Buch fand sich kleiner Stahlstich mit dem Namen Lucy Spiegl, umrahmt von einer Randgirlande. Danach fand Gerlach immer wieder einmal Bücher, in denen das Spiegl-Exlibris befestigt war, „bibliophile, oft sehr berühmte Ausgaben interessanter Texte“. Die Neugierde war geweckt, und der Autor recherchierte Biografisches und Sonstiges zur Eignerin des Bücherzeichens. Lucy von Goldschmidt-Rothschild (1891–1977) war eine Tochter des Frankfurter Bankiers und Kunstmäzens Maximilian von Goldschmidt-Rothschild und seiner Frau Minna geb. von Rothschild, die als „wohlhabendstes Ehepaar

des Kaiserreichs“ galten. 1917 heiratete Lucy den österreichischen Diplomaten Edgar von Spiegl. Nach dem (verlorenen) Weltkrieg zog sich das Paar ins Privatleben ins Salzkammergut zurück und baute dort eine wertvolle Sammlung von Volkskunst auf. Edgar von Spiegl starb 1931, Lucy emigrierte nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich in die Schweiz und lebte dort bis zu ihrem Tod in der Nähe des Genfer Sees. Zu den spannendsten Entdeckungen bei seiner weiteren Spurensuche in bibliophilen Buchausgaben gehörten, wie Gerlach erzählt, etwa eine Widmung von Else Lasker-Schüler (die u. a. selbst ein Exlibris auf ihren Namen von Sella Hasse besaß) unter dem Gedicht Versöhnung an „meine asiatische Prinzessin 

Lucie von Goldschmidt-Rothschild zur Verlobung und Glücksewigkeit vom Prinzen Jussuf von Theben“ oder ein Begleitbrief von Rainer Maria Rilke zu einem Hochzeitsgeschenk (dem Westöstlichen Divan), der in einem Auktionskatalog von Sotheby´s abgedruckt ist und in dem der berühmte Dichter u. a. schreibt: „[…] Spiegl weiß von unserer Freundschaft […]“ –
Am Anfang dieser ganz und gar erstaunlichen Entdeckungen stand ein kleines, unscheinbares Bücherzeichen, mit dem der Käufer zunächst nichts anzufangen wusste. Die Geschichte steht geradezu beispielhaft für einen der interessantesten Aspekte in Bezug auf die Bedeutung des Sammelns von Exlibris, nämlich die Provenienzforschung.

In der Rubrik Aus anderen Gesellschaften stellt die Redakteurin der Wandelhalle, Silvia Werfel, das DEG-Jahrbuch 2020 vor, das diesmal unter dem Leitthema Politischer und gesellschaftlicher Wandel steht. Die Autoren spannen einen weiten Bogen u. a. vom Ersten Weltkrieg in der Exlibrisliteratur, über politische Positionen von Exlibriskünstlern wie Heinrich Vogeler, Michel Fingesten und Eduard Winkler sowie Exlibris jenseits des Eisernen Vorhangs und das Motiv des politischen Redners, bis zum unaufhaltsamen Wandel der Frau in der Gesellschaft.
[Siehe dazu auch die Jahrbuch-Rezension von Alice Aeberhard unter https://exlibris-deg.de/2020/07/05/deg-jahrbuch-2020/ und den kompletten Artikel Der Frau ihre Kunst und Freiheit von Ursula Müksch unter https://exlibris-deg.de/2020/05/18/2020-der-frau-ihre-kunst-und-freiheit/ – beides auf der DEG-Website.]

Als Nr. 7 der Reihe Exlibris im Porträt schließlich stellt Daniel Theveßen ein Blatt von Michel Fingesten für Marco Birnholz vor. Passenderweise lautet der Untertitel Von verfolgten Künstlern und Eignern. Sowohl der hochbedeutende Exlibris-Künstler Michel Fingesten, der mehr als 750 Exlibris geschaffen hat, als auch der gleichfalls bedeutende obsessive Exlibris-Sammler Marco Birnholz flohen – als Juden – vor den Nationalsozialisten, der erste von Deutschland nach Italien, wo er trotzdem interniert wurde und 1943 an den Folgen einer Operation starb, der zweite von Österreich in die USA, wo er noch bis 1965 lebte. Immerhin erhielt Birnholz nach 1950 die Reste seiner von der Gestapo beschlagnahmten Bibliothek und seiner riesigen Exlibris-Kollektion in einer frühen Restitution zurück. Der Autor streift die Ereignisse und beschreibt sodann das Exlibris mit dem Lesenden vor einer Menora und einer Torso-Skulptur. 

Wandelhalle für Bücherfreunde, Herbst 2020, red. von Silvia Werfel M.A., München 2020, 48 S., für Nichtmitglieder 10 Euro (für 2 Ausgaben jährlich)

(Henry Tauber) 

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