Bericht über die DEG-Jahrestagung 2023 in Paderborn

Die DEG-Jahrestagung 2023 in Paderborn – Rückblick und Ausblick

An einem verregneten Donnerstagabend findet in der abseits des historischen Stadtzentrums von Paderborn gelegenen und von außen unscheinbaren Galerie @19 die Vernissage einer der sicherlich berührendsten Ausstellungen ihrer Historie statt. Unter dem Motto „Day after Day“ präsentieren 26 ukrainische Künstler, 9 von ihnen anwesend, und auch Teilnehmer der DEG-Jahrestagung, 26 Werke, in denen sie sich mit den Schrecken des Krieges auseinandersetzen. Es war ein guter Gedanke, diese Schau in das diesjährige Treffen zu integrieren, das ist lebendige Völkerverständigung. Ihr Zustandekommen verdankt sich der Initiative von Utz Benkel und der guten Zusammenarbeit von DEG, Künstlern und dem Galeristen Wolfgang Brenner. Schon kurz nach Kriegsausbruch am 24. 2. 2022 kam die erste Idee dazu. Die Ukraine ist Heimat der mit besten Exlibris-Schaffenden der Gegenwart, in der Stunde der Not hat sich gezeigt, dass die Exlibris-Familie zusammenhält: Utz Benkels Aufruf zu Spenden und Unterstützung hatte und hat Erfolg. Den zahlreichen Besuchern begegnen in den drei Ausstellungsräumen gänzlich unterschiedliche Temperamente: Verträumtes steht neben Schmerzerfülltem, Verzweiflung neben Hoffnung und meisterhafte Technik neben Ungeschliffenem. Marie Plyatsko zeigt in 

Vernissage der Ausstellung ukrainischer KünstlerInnen „Day after Day“ in der Paderborner Galerie @19, (Foto: Mariana Myroshnichenko)

einer Blumenstillleben-Farblithografie das Antlitz des Krieges: Die Blüten wirken wie Explosionen. Mariana Myroshnychenko hat mit ihrer Arbeit „Our 301 days at war“ eine Art Kriegstagebuch vorgelegt. Die Gouache, die einer Textil-Stickarbeit nachempfunden ist, besteht aus 301 schwarzen Feldern, wo manchmal nur Zahlen, der jeweilige Tag, auftauchen, in anderen Feldern chiffrehafte Andeutungen. Die Hintergrundfarbe aller Felder ist schwarz – wie die Dunkelheit bei den Stromausfällen. Zwischen der Idee zu dem Bild, die Ende August kam, und der Fertigstellung liegen 3 Monate. „Evil“ ist die einzige Skulptur der Schau tituliert: Oleksandr Mykytenko platziert in den Rest eines zerborstenen russischen Projektils eine Embryo-Skulptur und beleuchtet das Ganze von innen – ein Denkmal für die vor ihrer Geburt durch den Krieg getöteten Kinder. So unterschiedlich wie die ausgestellten Arbeiten sind auch die Tage der Menschen in der Ukraine. Man lebt stark im Augenblick und von Hoffnungen. Dies hätte zum Titel „Day after day“ geführt, wie die Kuratorin Marie Plyatsko erläuterte. Herzlich dankte sie für die Unterstützung. Schon am Sonntag wird die Wanderausstellung weiter auf die Reise geschickt.                                   

Im großen Tauschraum (Foto-Fundus Klaus Rödel)
Prof. Dr. Hans-Walter Stork, Direktor der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek in Paderborn, und Abt em. Stephan Schröer, Meschede (Foto: Marietta Hagedorn)
Tausch-Rausch (Foto: Marietta Hagedorn)

Die Tagung wird auch, wie immer, von der Ausstellung des DEG-Wettbewerbes und darüber hinaus den Arbeiten, die für den Wettbewerb zum Heinrich-Vogeler-Jubiläum entstanden, begleitet – übrigens gehen die für beide Wettbewerbe eingesandten Arbeiten ausnahmslos ins DEG-Archiv. Der Kasten für die Stimmzettel kommt gut sichtbar mitten in den Raum, offenbar keine schlechte Idee, denn mit 80 gültigen Stimmen ist die Wahlbeteiligung erfreulich hoch.

Am Freitag trudeln weiter die 124 der 130 angemeldeten Tagungsteilnehmer ein, davon rund 30 Künstler – insgesamt 50 Nicht-DEG-Mitglieder. Also sind es nur halb so viele tatsächliche Teilnehmer wie 2017. Wie kommt das? Manch einer ist verstorben oder kann krankheits- und altersbedingt nicht mehr kommen. Neue Sammler sind eine seltene Spezies. Corona hat seinen Schrecken verloren, dafür verhindert der Ukraine-Krieg das Kommen vieler osteuropäischer Künstler. Wegen der dortigen Corona-Bestimmungen ist niemand aus China erschienen. Wie schon 2017 organisieren Lydia Willemsen und Siegfried Bresler souverän und lösen Probleme, bevor sie entstehen. Ausstellungen, Künstler, Antiquare und tauschende Sammler verteilen sich auf 5 Räume und einen Flur, das ist den Gegebenheiten des Welcome-Hotels geschuldet. Es vermittelt dem einen oder anderen vielleicht das Gefühl, ein bisschen vom Geschehen abgeschnitten zu sein. Andererseits ermöglicht die leicht verwinkelte Anordnung der Räume besser, eine ruhige Ecke zu finden.

Am Nachmittag konnten sich Interessierte einen Vortrag von Prof. Dr. Stork, dem Leiter der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek, anhören: Vor Ort berichtete er über seine Recherche-Ergebnisse zu einer Auswahl der ca. 100 ausgestellten Exlibris aus dem 15. – 19. Jahrhundert in Beständen der Bibliothek. Zu der Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen.

Am Eröffnungsabend bringen Lydia Willemsen, Dr. Henry Tauber und die Stellvertretende Bürgermeisterin Frau Kramm jeweils mit ihren eigenen Worten ihre Freude zum Ausdruck, dass die Exlibriswelt trotz Krieg und Krise Menschen zusammenbringt und Grenzen überwindet. Exlibrissammler können „Weltmenschen“ sein. Im traditionell katholischen Paderborn erinnert Dr. Tauber an das Bibelwort „Gebt, so wird Euch gegeben“, das auch eine gute Richtschnur für freudestiftendes Tauschverhalten sein kann. Die Bürgermeisterin erinnert an den Tornado der eine Schneise der Verwüstung durch das Stadtzentrum und vor allem das Paderquellgebiet gezogen hatte. Doch am Ende hat die Heilung das letzte Wort, wir alle hoffen, dass dies auch für die Weltlage gilt.                                                                                   
  Als der Sekt getrunken war, schritten Siegfried Bresler, Utz Benkel und Wolfgang Fiedler zur Auktion: 22 Werke waren dafür zur Verfügung gestellt worden. Immerhin konnten für die durch Containermiete und bevorstehenden Archiv-Umzug strapazierte DEG-Kasse 1.400 € eingenommen werden.

Tagungsorganisatorin Lydia Willemsen (Foto Mariana Myroshnichenko)
Stellvertr. Bürgermeisterin von Paderborn Sabine Kramm und Dr. Henry Tauber bei der Tagungseröffnung (Foto: Mariana Myroshnichenko)
Neuer Vizepräsident der DEG: Utz Benkel als Auktionator (Foto: Mariana Myroshnichenko)
Tagungsorganisator Siegfried Bresler (Foto: Mariana Myroshnichenko)

Bei der Mitgliederversammlung am Samstag stand – neben den stets wiederkehrenden Formalien – mehr denn je die Zukunft unseres Vereins zur Debatte. Zwar steigen die Aufrufe der Website und bei Facebook, die Mitgliederzahl sinkt jedoch weiter, momentan sind es noch 305. Kann die Namenserweiterung in „Deutsche Exlibris-Gesellschaft e. V. – Forum für Kleingrafik“ daran etwas ändern? Das allein sicher nicht, aber es kann ein Baustein zur Konsolidierung sein. Auch vom Namen her wird einer Entwicklung, die schon längst eingetreten ist, nämlich dass das Interesse an Exlibris heute vorwiegend der grafischen, künstlerischen Position, weniger dem Bucheignerzeichen gilt, Rechnung getragen. Aus einer konstruktiven, sachlichen Diskussion heraus entschied sich die große Mehrheit der anwesenden DEG-Mitglieder schließlich für die Namenserweiterung.

Der DEG-Vorstand v. l.: Joachim Schlosser (Schatzmeister und Archivar), Dr. Henry Tauber (Präsident), Utz Benkel (neuer Vizepräsident), Anke Polenz (Leiterin der Geschäftstelle), (Foto-Fundus Klaus Rödel)

Ein weiterer Baustein sollte die intensivierte Zusammenarbeit mit Vereinigungen, die angrenzende Interessen pflegen, sein sowie bessere Abstimmung mit anderen Exlibrisgesellschaften z. B. bei der Terminierung der Tagungen. Die F.I.S.A.E. liegt noch immer auf Eis und bis auf Weiteres lebt sie hauptsächlich in den von Klaus Rödel dankenswerterweise zahlreich versandten elektronischen Newslettern. Von vielen Gesellschaften bekommt er aber keine Informationen. Vielleicht kann von der für 2024 geplanten F.I.S.A.E.-Tagung in Mallorca ein positiver Impuls ausgehen.  

Unbestritten war und ist das Jahrbuch das wichtigste Aushängeschild der Gesellschaft, dessen Layout, Gestaltung und Produktion bei Utz Benkel seit 25 Jahren in besten Händen ist. Dafür ist ihm sehr zu danken, ebenso für die Bereitschaft, nach dem Rücktritt von Alexander Kerrutt das Amt des Vizepräsidenten zu übernehmen, in das die Mitgliederversammlung ihn mit großer Mehrheit wählte. 2025, wenn Dr. Henry Tauber den 1. Vorsitz und Anke Polenz die Betreuung der Geschäftsstelle niederlegen werden, steht

ein personeller Neuanfang in der DEG bevor, alle Mitglieder sind aufgerufen, sich zu fragen, was sie aktiv für die Gesellschaft tun können. Ihre weitere Existenz hängt vom Engagement der Mitglieder ab, auch muss das Interesse an der Kleingrafik belebt werden. 

Nicht zuletzt wegen des durch den Umzug des DEG-Archivs von Mönchengladbach nach Schloss Burgk anfallenden außergewöhnlichen Kostendrucks, zu dem auch der Rückgang der Mitgliederzahl beiträgt, wurde über mögliches Einsparungspotenzial, aber auch über Einnahmemöglichkeiten, z. B. durch Sponsoring, nachgedacht. Die guten Erlöse aus der Tagung und von Lydia Willemsen eingeworbene Spenden, davon allein 1.500 € von der Sparkassen-Stiftung, werden dabei helfen.

Die nächste Tagung wird vom 25. 4. 2024 – 28. 4. 2024 in Neustadt an der Orla, nahe Schloß Burgk, stattfinden, und damit der neubegründete Archiv-Standort nachträglich gefeiert.

Ausflug ins Kloster Dalheim (Foto: Marietta Hagedorn)

Am Nachmittag gab es für Interessierte die Möglichkeit einer Bustour zum Kloster Dalheim. Es bestand von 1264 – 1803, als es wegen der Säkularisation aufgelöst wurde. Heute bietet die von LWL und der Stiftung Kloster Dalheim getragene Anlage ein vielfältiges Angebot: Museum mit Museumspädagogik, Workshops, Hofladen, Café u. v. m. Eine kompetente Führung, die auch Einblicke in die Reste der alten Klosterbibliothek gab, wurde von einem Besuch des Klostercafés abgerundet.

Bibliothek im Kloster Dalheim (Foto: Marietta Hagedorn)

Neben den Programmpunkten wurde – same procedure as every year – getauscht und geplaudert. Und dann, immer wieder schön, der Ausklang mit Festabend und Ehrungen:                                                 

Die Sieger der Wettbewerbe  erhielten eine von Andreas Raub neugestaltete originalgrafische Urkunde.  Urkunde:                                                                                                                         Publikumspreis Exlibris: Josef Werner: Exlibris für Henry Tauber Publikumspreis Gelegenheitsgrafik: Marie Plyatsko: „Burns“                          Jurypreis Platz 1: Mykhailo Drimaylo                                                                        Jurypreis Olatz 2: Silvana Martignoni                                                                        Jurypreis Platz 3: Prof. Dr. Krzysztof M. Bak                                         

Letzterer erhielt für seine Verdienste um das Exlibris, vor allem im Bereich der Computergrafik, die Walter-von-Zur-Westen-Medaille.

Weiterhin wurden langjährige Mitglieder mit einer von Krzysztof Bak in
CGD-Technik gestalteten Urkunde geehrt: Klaus Rödel für 55-jährige DEG-Mitgliedschaft, Paul G. Becker für 50 Jahre, Heinz Stellbring und Dr. Henry Tauber für 40 Jahre.

Die Tagungsorganisatoren und ihre Helfer wurden mit von Anke Polenz wie stets sehr passend ausgewählten Präsenten bedacht. 

(Zu den Ehrungen siehe Sonderbeiträge.)                                                                                                                     

Endlich kam der nahrhafte Teil des Abends, das Dinner for 124. Die Qualität des Buffets entsprach nicht den Erwartungen aller Teilnehmer. Der Autor des Tagungsberichts konnte aber nicht meckern. Das Preis-Leistungs-Verhältnis des Hotelrestaurants ließ aber eindeutig zu wünschen übrig, auch schien das Personal teilweise überfordert. Fiel das nun stark ins Gewicht? Bestimmt nicht, der positive Eindruck überwog eindeutig, was, da wiederhole ich mich gern, der kompetenten und souveränen Tagungsorganisation von Lydia Willemsen und Siegfried Bresler zu verdanken ist. Ein kleiner Fernsehbeitrag und 3 schöne Zeitungsartikel begleiteten die Tagung. Immerhin: Einige wenige Neugierige wurden daraufhin ins Welcome-Hotel gelockt. Der große Turnaround war es bestimmt nicht.

Bis Sonntagmittag hatte sich alles verlaufen. Was bleibt? Wie meist, überwiegend schöne Erinnerungen, man hat Freunde und Bekannte wiedergesehen, manche vermisst. Einige Künstler waren wegen mangelnder Aufträge enttäuscht. Die äußerst opulent bestückte Tombola, bei der kein Los unverkauft blieb, beglückte die Sammler, von denen sich mehrere bei Anke Polenz über die sehr schönen Gewinne nachdrücklich bedankten, und löste ein abendliches Nach-Tauschen aus. Wieder sind wir 1 Jahr älter. Neben eingetauschten Exlibris und Aufträgen und Verabredungen nehmen wir die klamme Frage mit nach Hause, wie und ob es auf Dauer weitergeht. Dies ist höchstens in Umrissen erahnbar, doch bleiben wir zuversichtlich, was die Zukunft der Deutschen Exlibris-Gesellschaft – des Forums für Kleingrafik anbelangt.

Andreas Raub

Am Festabend, (Foto-Fundus Klaus Rödel)
Am Festabend, (Foto-Fundus Klaus Rödel)
Am Festabend, (Foto-Fundus Klaus Rödel)
Am Festabend, (Foto-Fundus Klaus Rödel)

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