Exlibris des Monats Dezember 2019

Exlibris des Monats Dezember

Berthold Löffler: Frohe Weihnachten, Radierung 1928

PF’s, also bei einem Künstler für seine Familie und Freunde bestellte individuelle, grafisch gestaltete Grüße und Glückwünsche (pour féliciter), gibt es zu Weihnachten insgesamt seltener als zum Neuen Jahr. Ein Beispiel soll für dieses Weihnachten vorgestellt werden: eine künstlerische Grafik des Wiener Jugendstilkünstlers Berthold Löffler (1874–1960), bei Sammlern und Sammlerinnen bekannt durch sein berühmtes Exlibris für Sigmund Freud.

Auf Löfflers eleganter Weihnachts-Radierung schwebt ein Engel von irgendwoher nach irgendwohin;  die Realität über und unter dem Engel bleibt ausgespart.  Der Engel ist feierlich gekleidet und frisiert wie eine junge Dame der vornehmen Wiener Gesellschaft um 1900, die sich für ein Fest geschmückt hat. Zu diesem Fest bringt sie ein Geschenk mit, das sie mit beiden Händen hält: einen weihnachtlich dekorierten kleinen Tannenbaum, dessen Spitze ein Dreikönigsstern ziert.

Dass die schwebende graziöse und mondäne junge Frau mit ihrer Gabe wirklich ein Engel ist und nicht etwa eine Schlittschuhläuferin, die vom Eis hochspringt, oder eine eilige Ballbesucherin, die auf dem Weg zum Fest auf einer nassen oder glatten Straße ausrutscht, beweisen nur drei bzw. vier runde Striche hinter ihr, durch die man erkennt, dass sie die gesamte Erde fliegend umkreist, um ihr Licht überall zu zeigen. Da sie ein Engel ist, muss sie auch die Kälte nicht fürchten und kann barfüßig schweben, und als spirituelles Wesen braucht sie natürlich auch keine Flügel zum Fliegen – die hat nur die menschliche Rationalität den Engeln verliehen, damit wir uns erklären können, warum sie fliegen können. Auch dass Engel wie schöne junge Frauen oder Männer aussehen,  macht es uns leichter, sie uns vorzustellen.

Doch konzentrieren wir uns auf das, was der Engel auf Löfflers Grafik dem ganzen Erdenrund bringt: Freude (durch sein Geschenk und sein Über-uns-hinweg-Fliegen), Hoffnung und Licht (durch seinen hellen Stern), Frieden (durch seine unaufgeregte und beschaulich-konzentrierte Ruhe) und Schönheit (durch seine gesamte Erscheinung).

Und so wünscht Ihnen die Exlibris-Gesellschaft ebenfalls Frohe Weihnachten.

Ulrike Ladnar

P.S. Wenn Sie Zeit haben, dann haben Sie vielleicht Freude daran, Rilkes Bild von Engeln mit dem Löfflers oder mir Ihrem  eigenen zu vergleichen.

Rainer Maria Rilke: Die Engel

Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.

Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.

Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.

 

 

 

 

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