Exlibris des Monats Juli 2020: Komm! Ins Offene, Freund! – 250 Jahre Hölderlin

Exlibris des Monats Juli 2020: Komm! Ins Offene, Freund! – 250 Jahre Hölderlin
Hedwig Pauwels für L. Bruggeman, 1987, C3+C5

In diesem Jahr gibt es sehr viele Jubiläen – runde Geburtstage oder Todestage – aus der Welt der Musik, der Kunst und der Dichtung. Im Mai wurde deswegen mit dem Exlibris des Monats an den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens erinnert und in diesem Monat soll der im gleichen Jahr geborene Dichter Friedrich Hölderlin (1770–1843) im Mittelpunkt stehen.

Und der steht auch eindeutig im Mittelpunkt auf dem Exlibris, das der Porträtspezialist Hedwig Pauwels für Leo Bruggemann gestochen hat, denn Hölderlins Porträt beherrscht das Blatt. Man erkennt den Dichter sofort, weil Pauwels das bekannte Pastell von Franz Karl Hiemer als Vorlage genommen hat, das 1792 entstanden ist. Nur blickt der Dichter dort von rechts auf die Betrachter, sein ebenmäßiges, altersloses Gesicht mit makellosem, etwas gebräuntem jugendlichen Teint und wachen offenen Augen wird von weißen

Haaren umrahmt. Dieser Kontrast lässt den Dichter auf seltsame Weise alterslos und aus der Zeit getreten erscheinen und man mag unwillkürlich an das Wort schicksallos und an die Augen der Himmlischen aus Hyperions Schicksalslied denken, die in stiller ewiger Klarheit blicken. Pauwels hat den Kontrast fast noch verstärkt, wenn er den in seiner jugendlichen Kleidung mit offenem Kragen damals sicherlich sehr modern wirkenden Dichter unter eine antike Säule, die auch Assoziationen an Hölderlins Liebe zur griechischen Dichtung und Philosophie erweckt, stellt. Beinahe meint man, auf eine Maske zu blicken. Schicksallos wirkt Pauwels Hölderlin aber auch deshalb, weil ihn nichts Lebendiges umgibt. In der rechten unteren Bildhälfte gibt ein Tintenfass mit einer großen Feder einen Hinweis sowohl auf seinen Brotberuf als Hauslehrer als auch auf Hölderlins eigentlichen Beruf als Dichter. Mit der Positionierung der als Statue lächelnden Diotima, der einzigen weiblichen Figur aus Platons Symposium, die dort dem Philosophen ihr Verständnis der Natur des Eros vorträgt, werden die BetrachterInnen zu Hölderlins Werk Hyperion geführt, in dem dieser durch die Begegnung mit Diotima eine neue Sicht auf sein Leben und seine Berufung entfaltet. Die Textfelder unter Hölderlin und Diotima geben weitere Auskünfte über das Werk Hölderlins. Diotima – auf Hölderlins Herzseite – gibt aber gleichzeitig eine wichtige biografische Aussage ab, denn so nannte Hölderlin die Frau, die er liebte, Susanne Gontard, die Gattin eines Frankfurter Bankiers. Hölderlin lernte sie kennen, weil er als Hauslehrer für die Kinder der in Bad Homburg lebenden Familie eine Anstellung fand, wegen der Beziehung zu Susanne wurde er allerdings bald entlassen. Auch seine weiteren Hauslehrertätigkeiten waren meistens nur von kurzer Dauer, eine sichere Lebensgrundlage konnte Hölderlin sich nie aufbauen.

Gilt er heute neben Goethe und Schiller als der größte Dichter deutscher Sprache, so blieb er zu seinen Lebzeiten eher unbekannt. Erst im 20. Jahrhundert wurde Hölderlin sozusagen neu entdeckt und seiner sprachlichen Schöpferkraft, die seine frei von Konformismus und nur eigenen ästhetischen Regeln gehorchenden Verse entstehen ließ, wurde viel Bewunderung entgegengebracht; die Wissenschaft versuchte sich ihm und seinem experimentellen Schaffen neu anzunähern. Auch sein Spätwerk stößt in unserer Zeit auf großes Interesse.

Sein Spätwerk ist in Tübingen entstanden, wo Hölderlin die zweite Hälfte seines Lebens in einem romantisch am Neckar gelegenen Turm verbrachte, der Diagnose nach unheilbar geistig krank. Betreut wurde er dort über 36 Jahre lang von dem Tübinger Schreiner Zimmer. Die kryptischen Gedichte seiner Turmjahre führten zu vielen Legendenbildungen um Hölderlin als Wahnsinnigen, Wahnsichtigen, Widerstandskämpfer.

Pauwels stellt dieses idyllische Gebäude nicht dar, stattdessen aber im Hintergrund oben links symbolisch ein fensterloses Haus und eine Kirche, die durch das Wort Tübingen für jeden verortbar ist. Auf der 105 x 80 mm großen Bildfläche seines Exlibris hat Pauwels erstaunlich viele Anknüpfungspunkte gesetzt, die zu einer Beschäftigung mit dem Dichter anregen können.

So berühmt Hölderlin auch ist und so hoch die Anerkennung seiner Werke, so wenig wird er von einem breiten Publikum gelesen. Auch im schulischen Literaturunterricht spielt er eine geringe Rolle. In diesem Jahr sollten Ausstellungen, Lesungen, Events eine neue und zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Dichter einleiten, in seinen wichtigen Lebensorten im süddeutschen Raum, vor allem in Tübingen, und im Rhein-Main-Gebiet wurden spannende Jahresprogramme entworfen und viele Projekte mit großem Arbeitseinsatz zeig-, vorlesbar- und spielbereit gemacht. Was diesen Bemühungen (mindestens) vier Monate lang ein Ende gesetzt hat, wissen wir alle: Corona. Doch einen der berühmtesten Verse Hölderlins kann man als Trost dagegen setzen: Teilen Sie mit mir also einen Augenblick des Nachdenkens über den Vers aus Patmos: Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.

Ulrike Ladnar

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